Über 200 Wege die Erdoberfläche darzustellen

– Tobias Jung von kartenprojektionen.de im Interview –

Die Oberfläche der Erdkugel auf einer zweidimensionalen Fläche abzubilden, ist die entscheidende Herausforderung beim Erstellen einer Weltkarte. Wer sich einen Überblick über die Vielzahl der unterschiedlichen Projektionsmöglichkeiten verschaffen möchte, ist auf der hervorragenden Webseite kartenprojektionen.de genau richtig. Wir haben uns mit ihrem Autoren und Betreiber, Tobias Jung, über Weltkarten, unterschiedliche Kartennetzentwürfe und seine Webseite unterhalten.

Ausschnitt aus der Vielzahl von unterschiedlichen Kartennetzwürfen, die auf kartenprojektionen.de vorgestellt werden.
Weit über 200 bekannte und weniger bekannte Weltkartennetzentwürfe werden auf kartenprojektionen.de vorgestellt.
Auf kartenprojektionen.de findest du außerdem eine hilfreiche Einführung zum Thema, in dem die wichtigsten Konzepte und Begriffe, sowie die Gruppen der Projektionsarten und die unterschiedlichen Eigenschaften der Kartennetzentwürfe erläutert werden.

Moin Herr Jung! Schön, dass Sie Zeit für uns gefunden haben. Auf kartenprojektionen.de wird den Besuchern zunächst erklärt, dass es auf der Webseite streng genommen um Kartennetzentwürfe, nicht um Projektionen gehe. Bereuen Sie eigentlich mittlerweile die Wahl des Namens beziehungsweise der URL Ihrer Seite?

Nein.
Erstens scheint mir im allgemeinen Sprachgebrauch – sofern Leute überhaupt mit dem Themenbereich vertraut sind – der Begriff »Kartenprojektionen« weiter verbreitet zu sein. Wer nach Informationen zu dem Thema sucht, wird also vermutlich eher diesen Begriff in die Suchmaschine eingeben und nicht »Kartennetzentwurf«. Zweites heißt die englische Version der Site ja map-projections.net (im Englischen wird »projection« für alle alle Arten der Netzentwürfe gebraucht, auch von Fachleuten), so dass ich der Meinung bin, die Zusammengehörigkeit der beiden Sprachvarianten wird durch die Verwendung des Begriffs »Projektion« besser dargestellt.
Vor allem aber hat mich ein Besucher der Website darauf hingewiesen, dass das Wort »Projektion« in der Mathematik eben nicht nur mit einer optischen Projektion, wie wir sie aus dem Kino kennen, gleichzusetzen ist.

Insofern finde ich es nicht schlimm, hier vom Sprachgebrauch deutschsprachiger Kartografen abzuweichen. Ich würde den Namen wieder wählen, auch wenn manche Profis da sicher die Augen verdrehen.

Sie schreiben über sich, Sie seien kein Kartograph. Überdurchschnittliches, kartografisches Wissen kann man Ihnen aber sicher unterstellen. Die Entstehungsgeschichte der Webseite beginnt mit dem nicht völlig alltäglichen Teilsatz: „Als ich in einem Buch über Netzentwürfe blätterte, (…)“. Woher kommt bei Ihnen das besondere Interesse an Karten und Geografie?

Erstmal Danke für das Kompliment!
Was Ihre Frage angeht: Da muss ich weit zurückgehen.
Als ich in die Schule kam, haben meine Eltern in meinem Kinderzimmer einen Schreibtisch aufgestellt, an dem ich meine Hausaufgaben erledigen konnte. Dort lag dann auch eine Schreibunterlage, welche eine politische Weltkarte gezeigt hat – höchstwahrscheinlich (ganz genau erinnere ich mich nicht mehr) in der Mercator-Projektion. Ich fand es von Anfang an faszinierend, mir die Formen der Länder und Kontinente anzuschauen; nachzusehen, welche Länder wo liegen und wie weit sie von Deutschland entfernt sind.

Einer der vertrautesten Kartennetzentwürfe dürfte vielen die Mercator-Projektion sein. Die winkeltreue Karte war lange Zeit für die Schiffsnavigation unentbehrlich.
Durch die verzerrten Größenverhältnisse zugunsten der nördlichen Industrieländer wird jedoch auch der Vorwurf erhoben, diese Projektion könne ein eurozentristisches und kolonialistisches Weltbild fördern.

Ich habe auch relativ frühzeitig gelernt, dass es unterschiedliche Darstellungsweisen der Erde gibt: Es muss noch in den 1970er Jahren gewesen sein, dass ein Freund von mir eine Weltkarte in der Peters-Projektion an der Wand hängen hatte. Wenn ich mich recht erinnere, war das eine Beilage in der Zeitschrift einer evangelischen Hilfsorganisation. Ich war natürlich entsetzt, dass sich diese Karte so fundamental von der Karte auf meinem Schreibtisch unterschied. Ein Erwachsener erklärte mir damals, dass eben unterschiedliche Vorstellungen darüber herrschen, wie man die kugelförmige Oberfläche der Erde auf einer flachen Karte abbildet.
Ich kann mich nach etwa 40 Jahren natürlich nicht mehr genau an den Inhalt des Gesprächs erinnern, ich bin aber ziemlich sicher, dass mit das nicht ganz korrekt erklärt worden ist. 😉

flächentreue Weltkarte mit Gall-Peters-Netzentwurf
Der flächentreue Kartennetzentwurf nach Gall-Peters zeigt die tatsächlichen Größenverhältnisse der Kontinente – man beachte etwa die Größe Grönlands oder Europas im Vergleich zu Afrika.

Eine andere Situation, an die ich mich erinnere: Mit Blick auf meine Schreibtischkarte habe ich mal meinen älteren Bruder gefragt, warum Dänemark eigentlich nicht zu den größten Ländern der Erde zählt – auf der Karte war ersichtlich, dass das in der Mercator-Projektion riesige Grönland zu Dänemark gehört. Auch da wurde mir erklärt, dass die Darstellung der Größenverhältnisse nicht der Wirklichkeit entspricht.

Mit diesem »Vorwissen« ausgestattet, fiel mir dann im Schulatlas, mit dem wir ab dem 5. Schuljahr gearbeitet haben, sofort auf, dass hier eine weitere Darstellungsweise zum Einsatz kam, nämlich der Winkel Tripel.

Die Weltkarte bleibt für mich die Königsdisziplin

Spielten Weltkarten dabei schon immer eine besondere Rolle?

Ja, eigentlich schon.
Ich finde zwar alle Karten interessant, auch von einzelnen Kontinenten und Ländern, bis runter zum Stadtplan. Aber die Weltkarte bleibt für mich sozusagen die Königsdisziplin.


Unsere Weltkarte zum selber Gestalten – Entdecke die Welt – verwendet Pattersons vermittelnde Projektion.

Ihre Webseite ist seit 2015 online. Können Sie etwas zur Resonanz sagen? Sind Sie vom hohen Interesse überrascht? Oder handelt es sich Ihrem Eindruck nach doch eher um ein Nischenthema?

Da würde ich eindeutig auf das Nischenthema tippen.
Mit den Besucherzahlen könnte ich sicher nicht angeben – das kann natürlich auch ganz andere Gründe haben, aber ich habe schon den Eindruck, dass das Thema nur für eine kleine Zahl von Menschen interessant ist.

Bei Marmota Maps kommen wir ja eher aus der Richtung Design. Sind die Reliefkartenbilder, die Sie auf der Webseite verwenden, Ihre bevorzugte Darstellungsform für Erdkarten? Gibt es andere Darstellungen und Designs, die Sie besonders ansprechen? Wie sieht es beispielsweise mit politischen Karten, künstlerischen Karten aus? Kurz: Wie geografiefern darf eine Landkarte nach Ihrem persönlichen Geschmack sein?

Die Kartenbilder, wie ich sie verwende, sind tatsächlich meine Favoriten; aber ich mag auch andere Darstellungsformen. Ich habe auch schon überlegt, ob ich sämtliche Projektionen der Website noch einmal unter Verwendung einer politischen Karte zeigen sollte. Aber davon abgesehen, dass das jede Menge Arbeit wäre, wird das Ganze dann, glaube ich, zu unübersichtlich. Aber ganz vom Tisch ist diese Idee sicher nicht.
Für den persönlichen Gebrauch habe ich auch schon eine kleinere politische Karte selbst erstellt (A3-Größe) und arbeite zur Zeit an einer verbesserten Version.

Rein künstlerische Karten – also sagen wir mal, die nur die Silhouetten der Kontinente zeigen – finde ich zwar auch sehr hübsch, aber nicht interessant. Für mich muss eine Karte schon Informationen vermitteln. Ihre Wandkarte DIE WELT DER TIERE z.B. vermittelt auf sehr schöne Weise Informationen. Auch wenn sie Klimazonen, Topographie und Küstenlinien stark stilisiert zeigt, gefällt sie mir gut.


Weltkarte der Tiere - illustriert von Dieter Braun
DIE WELT DER TIERE illustriert von Dieter Braun

Gehen wir ins Detail – Sie schreiben ausführlich über Pattersons Zylinderentwurf, den wir auch für unsere letzte Weltkarte verwendet haben. Für uns handelte es sich um ein neues Thema. Beim Alpenbogen musste man sich schließlich noch wenig Gedanken um die Wahl des Kartennetzentwurfs machen. Inwiefern sind die speziellen Eigenschaften von Pattersons Zylinderentwurf ein Problem für Klimakarten?

Naja, »ein Problem« ist sicher ein zu starker Ausdruck; ich finde nur, dass es geeignetere Projektionen für diesen Zweck gibt.
Die Verteilung der Klimazonen auf der Erde wird natürlich von vielen Faktoren beeinflusst, aber ein wichtiger Faktor ist die Platzierung eines Ortes auf der Nord-Süd-Achse. Daher würde ich eine Projektion wählen, bei der die Nord-Süd-Achse längentreu wiedergegeben wird, also – wie auf dem Globus – mit gleichabständigen Breitenkreisen. Beim Patterson variieren die Abstände der Breitenkreise aber sehr stark.
Das ist aber nur meine Meinung, mit der gleichen Berechtigung könnte man eine flächentreue Klimakarte fordern, um die Größenverhältnisse der einzelnen Klimazonen korrekt darzustellen – oder postulieren, dass das alles keine Rolle spielt, weil die farbige Unterteilung in diverse Klimazonen schon alles zeigt, was der Mensch wissen muss.


Weltkarte mit über 500 Bergen - Mountains of the Earth
Auch für unsere Weltkarte der Berge MOUNTAINS OF THE EARTH verwenden wir Pattersons Zylinderentwurf.

Wie sehen Sie Winkeltreue und vertraute Formen der Kontinente und Länder? Wie wichtig ist sie ihnen persönlich? Zu welchen Zwecken sollte besonders auf Winkeltreue geachtet werden?

Bei sämtlichen Karten, die in irgendeiner Form zur Navigation gedacht sind, ist die Winkeltreue hilfreich bis wichtig. Nicht umsonst verwenden Stadtpläne, aber auch Online-Kartenwerke wie Google Maps oder OpenStreetMap winkeltreue Projektionen. Darüber hinaus kann ich nur sagen: Eine winkeltreue Karte sollte man dann verwenden, wenn man die Formen der Länder und Kontinente möglichst genau darstellen muss oder will und diese Eigenschaft wichtiger ist als die korrekte Darstellung der Größenverhältnisse.


Ski Resorts of the West - alle Skigebiete des nordamerikanischen Westens auf einer Karte
Wandkarte SKI RESORTS OF THE WEST – der Westen Nordamerikas in flächentreuer Lambertscher Azimutalprojektion.

Ich selbst tendiere eigentlich eher zu korrekten Größenverhältnissen. Selbst bei einer vermittelnden Weltkarte, welche einen Kompromiss zwischen den richtigen Größen und Formen auszupendeln versucht, ziehe ich jene vor, bei denen das Pendel eher in Richtung der korrekten Flächendarstellung ausschlägt. Meiner eigenen Beobachtung nach benutzen die Leute Weltkarten durchaus zu Größenvergleichen, die Formen kommen aber selten zur Sprache – es sei denn, es kommt zu ganz besonders auffälligen Verzerrungen (wie bei der Peters-Projektion). Daher bin ich der Auffassung, dass die Größenverhältnisse nicht allzu sehr entstellt werden sollten. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck, ich habe keine statistischen Daten, die meine Auffassung unterstützen könnten.

Das soll aber nicht heißen, dass ich winkeltreue Weltkarten ablehne, im Gegenteil gibt es auch da Entwürfe, die ich sehr schätze. Ich komme später darauf zurück.

Sie schreiben auch über Zylinderentwürfe allgemein, und regen dazu an, dass man ruhig mal über die Verwendung anderer Kartengruppen nachdenken solle. Welche Art der Netzentwürfe würden Sie stattdessen lieber häufiger sehen?

Vor allem denke ich da an die lentikulären Projektionen (oft auch »polykonisch« genannt), bei denen die Meridiane und die Breitenkreise gekrümmt dargestellt werden. Ein Entwurf dieser Art – der bereits erwähnte Winkel Tripel – wird bereits sehr häufig benutzt, aber einige andere dürften von mir aus auch gerne mal zum Einsatz kommen.
Aber auch die pseudozylindrischen Karten – gekrümmte Meridiane, aber gerade Breitenkreise – sind sehr gebrauchstauglich. Karten von diesem Typus sind zwar nun nicht wirklich selten, aber da ist noch Luft nach oben.
Und da wir vorhin von den winkeltreuen Karten gesprochen haben: Auch da gibt es Entwürfe, die ich gerne mal z.B. als Wandkarte sehen würde, anstatt immer wieder auf den Mercator zu treffen…

Weltkarte mit Winkel Tripel-Projektion
Die Winkel Tripel-Weltkarte mit vermittelnder Projektion.

Können Sie konkrete Beispiele nennen?

Da muss ich eigentlich erstmal fragen: Wie lang darf die Liste denn werden? *lacht*
Bei den flächentreuen Karten würde ich gern den Wagner VII häufiger sehen und überhaupt mal eine käufliche, deutsche Karte, die den Strebe 1995 nutzt – beide aus der Gruppe der Lentikulären. Aber auch die erst kürzlich vorgestellte, flächentreue »Equal Earth« Karte aus der Gruppe der pseudozylindrischen Entwürfe.

Lentikulärer, flächentreuer Kartennetzentwurf von Daniel Strebe (1995).
Lentikulärer, flächentreuer Kartennetzentwurf von Daniel Strebe (1995).

Als Vertreter der winkeltreuen Projektion würde ich gerne mal die Guyou-Projektion sehen, der mit seiner rechteckigen Form dem Wunsch, die bedruckbare Fläche möglichst gut auszunutzen, entgegenkommt, aber gleichzeitig die exorbitante Verzerrung von Mercators Entwurf vermeidet. Oder den Cahill-Concialdi, der eine außergewöhnliche Außenform zeigt und somit sehr schön eine Brücke zwischen informativen und künstlerischen Karten schlagen könnte. Zudem fallen hier Größenverzerrungen der Kontinente noch geringer aus als bei dem Guyou. Eine selbst gefertigtes Poster mit einer Weltkarte in der Cahill-Concialdi-Projektion steht ganz weit oben auf meiner To-Do-Liste.

Für die oben angesprochenen Klimakarten finde ich z.B. den Kavraiskiy VII sehr hübsch.

Ungewohnte Form – die polyedrische, winkeltreue Cahill-Concialdi-Projektion.

Zum Abschluss noch die Frage, ob Sie eine Lieblingskarte haben? Welche Karte oder welche Karten hängen bei Ihnen zu Hause, oder im Büro?

Nach meiner Antwort auf die vorhergehende Frage wird es kaum verwundern, dass Wagner VII und Strebe 1995 meine Lieblings-Projektionen sind. Ich schätze aber auch die lentikulären Entwürfe von Canters und Ginzburg, den Winkel Tripel oder die Robinson-Projektion. Und ganz besonders gefallen mir auch zwei Varianten des Wagner VII, die ich selbst angefertigt und Anfang des Jahres auf meiner Website vorgestellt habe. Aber das liegt in der Natur der Sache, denn schließlich bin ich ans Werk gegangen mit der Prämisse, Entwürfe zu schaffen, die meinen eigenen Vorstellung von ansprechenden und gebrauchstauglichen Karten entsprechen.

An der Wand hängt eine recht große, gekaufte Wagner VII Karte, ein kleines selbstgefertigtes Poster mit dem Strebe 1995 … und ein ebenfalls selbst gestalteter Monatskalender mit 12 unterschiedlichen Projektionen. Irgendwann in nächster Zeit kommt dann noch ein Poster aus Eigenproduktion hinzu, eine Weltkarte mit einer meiner o.g. Wagner-Variationen.

Vielen Dank für das äußerst interessante Gespräch und danke auch nochmal für die vielen Informationen, die Sie auf Ihrer Seite für die Allgemeinheit bereitstellen.

Nichts zu danken, hat mich sehr gefreut!